Ende Oktober 2011 herrschte Aufruhr im Landgericht Mannheim.

Prozessbesucher beschimpften den vorsitzenden Richter und verließen laut schreiend den Saal. Polizisten mussten das erregte Volk beruhigen.

Was war geschehen? Das Gericht hatte soeben den Angeklagten A. freigesprochen, der einen anderen durch mehrere Messerstiche in den Oberkörper getötet hatte.

Was das aufgebrachte Publikum nicht verstand, ist objektiv betrachtet juristisch nicht ganz so schwer nachzuvollziehen.

Die Beweisaufnahme hatte nämlich zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der Angeklagte in Notwehr und somit im Einklang mit der Rechtsordnung gehandelt hatte.

Es wurde festgestellt, dass der A. durch den ihm unbekannten später Getöteten „ohne ersichtlichen Grund“ in den sogenannten Schwitzkasten genommen und gewürgt worden war.

Der körperlich deutlich überlegene Angreifer habe den A. dabei zu Boden gebracht und dadurch eine höchst bedrohliche Situation herbeigeführt.

Der Angeklagte habe daher keine andere Wahl gehabt, als die Verteidigung mit dem Messer, auch auf die Gefahr hin, dass dies zum Tode des Angreifers führen würde.

Zwei der Stiche gingen direkt ins Herz.

In meinen Trainings stelle ich immer wieder fest, dass eine erhebliche Unkenntnis und dadurch Unsicherheit hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen der Selbstverteidigung bestehen.

Nicht wenige Menschen haben Angst davor, konsequente Selbstverteidigung zu praktizieren, weil sie rechtliche Konsequenzen fürchten.

Der Begriff „Notwehr“ ist zwar allgemein bekannt.

Was genau dahintersteckt, wissen aber die Wenigsten.

Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, das Thema bis ins letzte Detail zu behandeln.

Auf die wichtigsten Aspekte will ich jedoch hinweisen.

Die Notwehr ist strafrechtlich in § 32 des Strafgesetzbuches geregelt und damit im Allgemeinen Teil des StGB.

Dort findet man keine Strafnormen. Folglich ist § 32 auch keine Verbotsnorm, die eine Handlung ausdrücklich unter Strafe stellt (wie z.B. § 242 Diebstahl).

§ 32 ist vielmehr ein Rechtfertigungsgrund, der bei Vorlage der entsprechenden Voraussetzungen dafür sorgt, dass eine ansonsten strafbare Handlung im Einklang mit unserem Rechtssystem legalisiert wird und somit nicht bestraft werden kann.

Der Gesetzestext lautet konkret:

Der Gesetzgeber ist im Zuge seiner Regelungskompetenz also grundsätzlich „pro Notwehr“ eingestellt.

Bitte lasse dich daher nicht von den Presseberichten abschrecken, in denen Menschen verurteilt wurden, obwohl sie sich auf „Notwehr“ beriefen.

Von den vielen Fällen der legal ausgeübten Notwehr erfährst du überhaupt nichts, weil diese gar nicht erst vor Gericht landen, sondern richtigerweise bereits im Ermittlungsverfahren eingestellt werden.

Leider kennen sich auch viele Instructor-Kollegen in dieser Thematik nicht aus und verbreiten falsche Informationen.

Notwehr hat eine übergesetzliche und vorstaatliche Wurzel und beruht auf dem (Rechts-)Grundsatz, dass das Recht dem Unrecht nicht weichen muss.

Wie weit das im Einzelfall gehen kann, zeigt ein weiteres Urteil, welches seinerzeit für Aufsehen sorgte.

Der Bundesgerichtshof (BGH) sprach ebenfalls im Jahre 2011 ein führendes Mitglied der Hells Angels frei, das einen Polizeibeamten durch eine geschlossene Tür erschossen hatte.

Dabei handelte es sich aber eben nicht, wie eine Boulevardzeitung vorschnell titelte, um einen „Polizistenmord“.

Vielmehr kam das Gericht letztlich zu der Auffassung, der Angeklagte habe in Notwehr gehandelt.

Er hatte irrtümlich angenommen, dass es sich bei dem Spezialeinsatzkommando der Polizei um einen Killertrupp der rivalisierenden Bandidos handelte, der seine Tür aufbrechen und ihn töten wollte.

Die Richter folgten der Darstellung des Kuttenträgers dahingehend, dass er für diesen Irrtum nicht verantwortlich sei, und sprachen ihn frei.

Es handelte sich somit um einen Fall von sogenannter Putativ-Notwehr.

Nun ist schwerlich anzunehmen, dass deutsche Bundesrichter mit mutmaßlich kriminellen Rockerbanden sympathisieren.

Und auch wenn das Ergebnis (ein toter Polizeibeamter und der Schütze auf freiem Fuß) irgendwie seltsam anmutet, haben die Richter nichts anderes getan, als den Einzelfall unter rechtlichen Gesichtspunkten objektiv und ohne Ansehen der Person zu untersuchen.

Du brauchst dir also in Sachen Notwehr nicht so viele Sorgen zu machen, wie du es vielleicht im Moment noch tust.

Selbst wenn du dich in einem nicht vermeidbaren Irrtum befindest, kannst du grundsätzlich straffrei ausgehen.

Und was ist, wenn du im Zuge der Notwehr unbeabsichtigt „zu viel machst“?

Nun, auch daran hat der vorausschauende Gesetzgeber gedacht und gleich noch einen weiteren Paragraphen ins Strafgesetzbuch geschrieben.

Zur weiteren Lektüre sei ein Artikel des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht, Thomas Fischer, empfohlen:

Grundbegriffe des Strafrechts - Notwehr